Hintergrund?
Liebesbeziehungen und deren Störungen
Um einen Menschen ganz kennenzulernen, ist es notwendig, ihn auch in seinen Liebesbeziehungen zu verstehen … Wir müssen von ihm aussagen können, ob er sich in Angelegenheiten der Liebe richtig oder unrichtig verhält, wir müssen feststellen können, warum er in einem Fall geeignet, im anderen Falle ungeeignet ist oder sein würde.
Wenn man außerdem bedenkt, dass von der Lösung des Liebes- und Eheproblems vielleicht der größte Teil des menschlichen Glücks abhängig ist, wird uns sofort klar, dass wir eine Summe der allerschwerstwiegenden Fragen vor uns haben, die den Gegenstand dieses Buches bilden.
Wie so viele Gerichte verdankt es sich schierer Notwendigkeit – äußerster Zerstörung und Uneinigkeit nach zwei Weltkriegen und Jahrhunderten des Kolonialismus. Nur wenig war verfügbar, aus dem Wenigen aber formten Einige etwas, das sich nach und nach mehrte und zu einem Grundnahrungsmittel des täglichen Bedarfs wurde: Millionen verließen sich auf Schengen wie aufs tägliche Brot. Das Besondere daran: Dieses Gericht gibt es nur, solange man danach verlangt, fast, als handelte es sich um eine kulinarische Zauberformel: Man muss es verlangen, das Verlangen bringt es hervor und sorgt dafür, dass Äußeres und Geschmack sich immerzu ändern. Auch der Rest der Welt hat Einfluss auf dieses Gericht, das seinerseits wiederum die Welt würzt. Im Resultat mag es unordentlich sein, ungeheuerlich, so delikat wie deliziös, weshalb es kein Wunder ist, dass das Gericht immer wieder anders und an manchen Tagen leckerer als an anderen schmeckt. Dennoch ist es ein Gericht, dass es zu wahren, anzupassen, zu verbessern lohnt.
Ergibt wie viele Portionen?
Reicht für 446 Millionen und mehr.
Von Manchem kann es nie genug geben, Begehr und Begier danach sind grenzenlos; sinnlos derlei in Zahlen auszudrücken. Nehmen wir als Beispiel die Liebe. Niemand, der je von ihr gekostet hat, fragt, für wie viele Portionen sie reichen mag – wir wollen endlos lieben und endlos geliebt werden. Sich lieben zeugt Liebe, offenbart ihr unendliches Fassungsvermögen. Mit der Europäischen Einheit ist es nicht anders: Tagtäglich wird mehr möglich, umfasst sie mehr Menschen, bis wir eines Tages begreifen, dass unser Gericht, um einige der richtigen Ingredienzien ergänzt, zu gegebener Zeit globale Einheit genannt werden könnte. Ein Gericht, das genug für jedermann bietet, schmeckt sicherlich allen am besten.
Zubereitung und Garzeit?
Ehrlich gesagt, es hat bereits zu lang gedauert. Und doch ist es längst fertig und zugleich in Arbeit. Es heißt, gut Ding will Weile haben, was, in diesem Fall, das abgeschmackteste aller sprichwörtlichen Gewürze wäre. So manches ginge schneller, wenn wir zusammen kochen würden. In Sachen Einheit oder Demokratie gilt nicht, dass viele Köche den Brei verderben, sie bereichern ihn vielmehr. Schnapp dir deine Kelle und dein Gewürzregal, Europa braucht dich!
All jenen, die konkrete Zeitangaben bevorzugen, sei gesagt, dass schnell oder langsam unwichtiger sind als Zuhören, Lernen und Mit-Anpacken. Selbst wenn die europäische Einheit unterschiedlich lang köchelt, in einigen Ländern mehr, in anderen weniger, kann sie dennoch gut werden, ganz unabhängig davon, ob ein Teil noch brutzelt, während ein anderer schon abkühlt.
Zutaten?
Alles, was auch nur irgend essbar ist, insbesondere aber gutes Brot, Knoblauch, Salz, italienisches Olivenöl (das meist aus Griechenland oder der Türkei kommt, aber daran ist nichts auszusetzen), Kartoffeln, Eiscreme sowie:
100% Gastfreundschaft
100% Sommer-feeling (jene, die Schnee bevorzugen, steht es natürlich frei, hier 100% Winter-feeling einzusetzen (Jahreszeit letztlich nach Wahl)
100% Frieden
100% Rechte- und Chancengleichheit
100% offene Grenzen
100% Demokratie
(Die Tatsache, dass sich alle Zutaten unter Umständen nicht vollumfänglich besorgen lassen, möge niemanden davon abhalten, das Gericht zu probieren. Es wird sicher auch dann schmecken und sogar gut gelingen, wenn man alternative Zutaten sorgsam aussucht und kreativ verwendet. Selbst unerwartete Beigaben mögen im Topf landen, was nur zu begrüßen ist, sofern sie nicht allzu dominant sind und so ein gewisses Geschmackseinerlei erzeugen.)
Besondere Gerätschaften und unbedingt Notwendiges?
Begeisterung, Träume, rechtlich solide Töpfe, mehr Kunst, mehr Ökoenergie und – diese so seltene Zutat – Mut, denn wie schon Maya Angelou sagte, lässt sich ohne Mut auf Dauer keine Tugend praktizieren.
Schrittweise Vorbereitung?
Schwierig! Hängt davon ab, wen man fragt. Eine wachsende Anzahl von Leuten behauptet, man müsse mit der Vergangenheit beginnen, sie zerpflücken und die Gegenwart darin marinieren. Andere bestehen darauf, erst einmal vorhandene Aromen auszugleichen, während andere es vorziehen, Haushalte auszugleichen. Und wieder andere wollen die Schränke leeren, den Herd anmachen, kochen, was da ist und endlich anfangen. Manche beharren auf der Archipelmethode, breit gestreute Vielfalt in allen Formen und Größen, verbunden durch das blitzende Meer der Freigiebigkeit. Es gibt welche, die schwören auf Butter – behaupten, mehr sei besser, was das Essen fraglos fetter macht, jedenfalls helfen kann, alles besser zu binden – falls jedoch nicht jeder ein bisschen Butter abbekommt, sind am Ende viele verständlicherweise verbittert. Und manche sagen, auf die Methode komme es nicht an, solange nur die Vorbereitung mit jenem einen Gedanken beginne: Wie wird sich all dies auf dich auswirken und was sagt es über mich?
Serviervorschlag?
Am besten heiß, kalt, bei Zimmertemperatur, gefroren – je nach Belieben! Man möge nur nicht vergessen: In Gesellschaft schmeckt alles besser.
Essen fotografieren?
Nicht inbegriffen, da das Gericht im Grunde stets gleich, aber doch immer anders aussieht, je nachdem, wer kocht, wer isst – wo, wie und wann.
Nährwert?
Kommt drauf an. Die Güte des Gerichts steht in direktem Verhältnis dazu, wie viele daran teilhaben und wie weit die Reihe seiner Vorzüge reicht.
Quelle: Goethe-Institut