Engelsspiel von Klaus Schuker

Nicht ohne Grund ist bei einer gynäkologischen Untersuchung durch einen Arzt in der Regel seine Sprechstundenhilfe anwesend, um vor möglichen Anschuldigungen abgesichert zu sein. Ein Mann läuft prinzipiell immer Gefahr, einer Vergewaltigung oder zumindest einer unsittlichen Berührung bezichtigt zu werden, wie es Daniel Schönwind in dem Buch Engelsspiel von Klaus Schuker passiert ist. Als er auf der Heimfahrt von einer betrieblichen Grillfeier eine junge, aufreizende Anhalterin mitnimmt, nutzt er die sich bietende Gelegenheit zu einem sexuellen Abenteuer, das sie provoziert. Erst am anderen Morgen, als er mit seiner Lebensgefährtin Karin und der gemeinsamen, achtjährigen Tochter Ramona, die ihm alles bedeutet, beim Frühstückstisch sitzt, kommt für ihn in Gestalt von Kriminalhauptkommissarin Beatrice Weber und ihrem Kollegen Plattner das böse Erwachen.

Was Daniel zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Die erst 17-jährige Janina hat die Vergewaltigung vorgetäuscht, um einer Bestrafung durch ihren Vater, weil sie zu spät nach Hause gekommen ist, zu entgehen. Sie hat Daniel tiefe Kratzspuren über seine Brust zugefügt und sich absichtlich von ihm schlagen lassen, um die Blessuren später gegen ihn verwenden zu können. Nachdem Daniel nun vor den Beamten seinen Oberkörper entblößen musste, sehen die Kratzer für sie absolut nicht nach einvernehmlichem Sex aus, wie Daniel es nannte. Alles spricht gegen ihn, sogar die Tatsache, dass er mit seiner Partnerin in den letzten Monaten keinen Sex mehr hatte. Nur wegen Ramona, seinem Engelchen, hätte Daniel, für den Seitensprünge die Regel sind, nämlich längst an eine Trennung gedacht.

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Das grausige Hobby von Sir Joseph Londe

„Was für einen Unfug wollen Sie von mir?“, fragte Daniel – vergeblich versuchte er, sich aufzusetzen.
„Nur um einen Blick auf Ihr Gehirn zu werfen“, war die angenehme Antwort.
„Mein – mein was?“ Daniel keuchte.
„Ihr Gehirn“, wiederholte der andere, nahm eines der Messer aus der Schachtel und untersuchte es kritisch. „Übrigens, Sie wissen natürlich, wer ich bin? Ich bin Sir Joseph Londe, der größte Chirurg der Welt. Ich habe mehr Operationen durchgeführt, als es Sterne am Himmel gibt. Leider wurde eines Tages ein kleiner Teil meines Gehirns rot. … Solange ich diesen kleinen Teil des roten Gehirns nicht ersetzen kann, bin ich verrückt. …. In Sie habe ich jedoch absolutes Vertrauen.“
„Wie wollen Sie an mein Gehirn rankommen?“ Daniel fand die Kraft zu fragen.
„Ich will es natürlich herausschneiden“, erklärte der andere. „Sie brauchen nicht die geringste Angst zu haben. Ich bin der beste Operator der Welt.“
„Und was machen Sie danach mit mir?“
Der Chirurg kicherte.
„Ich begrabe Sie im Steingarten“, antwortete er. „Ich nenne ihn meinen Friedhof. Wenn Sie jetzt so freundlich wären, ganz still zu bleiben …“
Das ist ein kurzer Textausschnitt aus dem Buch, das Spannung und einen besonderen Lesegenuss verspricht.

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Für den Beschuldigten bricht in der Untersuchungshaft eine Welt zusammen, als ihm seine Verteidigerin Cornelia Vollgast von der Absicht Karins berichtet, sich von ihm zu trennen. Alleine zu Hause beginnt er zu trinken. Er hat nun nichts mehr zu verlieren, sinnt nur noch auf Rache und tüftelt einen Plan aus. Doch auch Kim, die beste Freundin von Janina, verfolgt einen Plan, weil ihr Janina einfach nichts über ihren geheimnisvollen Lover verraten will, und Kim ist nicht die Einzige, die sich darüber wundert, wie gut Janina die Vergewaltigung verarbeiten kann.

Neu ist die Umsetzung dieser Thematik nicht, denn bereits in dem Thriller „Enthüllung“ wurde gezeigt, in welch aussichtsloser Lage sich Michael Douglas befunden hat. Die Handlung in dem Kriminalroman Engelsspiel fesselt den Leser von Anfang an. Klaus Schuker hat die Entwicklung der zu Ende gehenden Beziehung zwischen Daniel und Karin gut nachvollziehbar dargestellt, denn natürlich hat die Beweislast gegen ihren Lebenspartner auch sie an ihm zweifeln lassen. Die beiden finden keine Verständigungsebene mehr, weil sie sich von den Folgen erschlagen fühlen. Ihren Kollegen am jeweiligen Arbeitsplatz bleibt nichts verborgen, und das Internet heizt die Gemüter mit bösen Kommentaren unnötigerweise noch weiter an.

Um die verschiedenen Seiten beleuchten zu können, wird im Wechsel die verzweifelte Situation von Daniel dargelegt, dann wieder die seiner Lebensgefährtin. Der Autor schreibt von den Gesprächen, die Janina mit ihren Eltern führt, aber auch von denen, die diese untereinander oder mit Arend Küstner, einem Freund der Familie, führen. Der Leser erfährt von den geheimen Treffen zwischen Janina und ihrem Freund sowie ihrer Freundin Kim, und natürlich auch von den Vernehmungen durch die beiden Kriminalisten. Ob man tatsächlich das Kennzeichen eines sich bei Nacht nähernden Fahrzeugs erkennen kann, wie es Janina konnte? Zumindest kann aber davon ausgegangen werden, dass nach einer Vergewaltigung die Frage einer möglichen Schwangerschaft erörtert wird. In dem vorliegenden Fall hätte man Janina befragen müssen, ob der Mann ein Kondom benutzt hat, und wenn nicht, wäre ihr zumindest die „Pille danach“ angeboten worden. Doch dieser Einwand ändert nichts daran, dass es sich bei dem Buch Engelsspiel um einen äußerst realitätsnahen, zu keinem Zeitpunkt theatralischen, flüssig geschriebenen Krimi handelt, bei dem sich Klaus Schuker gefühlsvoll mit einem sehr sensiblen Thema auseinandergesetzt hat.

Klaus Schuker, Engelsspiel, Fabulus Verlag 2016, Klappenbroschur, 399 Seiten, ISBN 978-3-944788-21-0, Preis: 14,95 Euro.

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