Seit einem halben Jahr wohnt Julie mit Casper zusammen. Doch bevor er den Schritt in die Ehe wagt, will er sich ganz sicher sein und verlässt Julie für eine Weile, indem er sich einfach auf und davon macht. Umso enttäuschender ist es für sie, dass er sich sogar für ein halbes Jahr beurlauben ließ und seine Reise nach Indien lange geplant hat. Julie lässt sich von ihrer besten Freundin Nina trösten und redet sich gebetsmühlenartig ein, dass Casper sicher bald wieder zu ihr zurückkommt. Schließlich hat er ihr einen Heiratsantrag gemacht und will mit ihr Kinder haben.
Das grausige Hobby von Sir Joseph Londe
„Was für einen Unfug wollen Sie von mir?“, fragte Daniel – vergeblich versuchte er, sich aufzusetzen.
„Nur um einen Blick auf Ihr Gehirn zu werfen“, war die angenehme Antwort.
„Mein – mein was?“ Daniel keuchte.
„Ihr Gehirn“, wiederholte der andere, nahm eines der Messer aus der Schachtel und untersuchte es kritisch. „Übrigens, Sie wissen natürlich, wer ich bin? Ich bin Sir Joseph Londe, der größte Chirurg der Welt. Ich habe mehr Operationen durchgeführt, als es Sterne am Himmel gibt. Leider wurde eines Tages ein kleiner Teil meines Gehirns rot. … Solange ich diesen kleinen Teil des roten Gehirns nicht ersetzen kann, bin ich verrückt. …. In Sie habe ich jedoch absolutes Vertrauen.“
„Wie wollen Sie an mein Gehirn rankommen?“ Daniel fand die Kraft zu fragen.
„Ich will es natürlich herausschneiden“, erklärte der andere. „Sie brauchen nicht die geringste Angst zu haben. Ich bin der beste Operator der Welt.“
„Und was machen Sie danach mit mir?“
Der Chirurg kicherte.
„Ich begrabe Sie im Steingarten“, antwortete er. „Ich nenne ihn meinen Friedhof. Wenn Sie jetzt so freundlich wären, ganz still zu bleiben …“
Das ist ein kurzer Textausschnitt aus dem Buch, das Spannung und einen besonderen Lesegenuss verspricht.
Da Julie die Miete für die teure Wohnung nicht allein aufbringen kann, sucht sie einen Untermieter. Ihre Entscheidung fällt auf Sune, der seinen Job bei einer Tankstelle gekündigt hat, um in Ruhe einen Roman schreiben zu können. Ihm kommt das Angebot sehr gelegen, zumal Julie während seiner Schaffenszeit am Tag in einem Reisebüro arbeitet. Sie stellen einen Plan auf, zu welchen Zeiten ein jeder welche Räume nutzen darf. Trotz idealer Voraussetzungen fällt Sune zu seinem Roman nichts ein, denn anstatt sich darauf zu konzentrieren, ist er mit seinen Gedanken ganz woanders. Als er eine Frau mit auf sein Zimmer nimmt, ist es ihm peinlich, während Julie, die Paarungsbereit ist, sich dadurch nur um so verlassener fühlt.
Kirsten Hammann besitzt als Autorin die seltene Gabe, Handlungen quasi zu sezieren, indem sie jedes Detail eines Ablaufes aufzählt, wobei ihre Beschreibungen aber nicht eintönig oder langatmig wirken. So selbstverständlich, wie sie über Frontallappen des Gehirns doziert, schreibt sie auch völlig unverkrampft darüber, wie Sune onaniert, wobei er sich anzüglichen Fantasien hingibt, oder auch, wie Julie sich in Ermangelung ihres Verlobten mit Sexspielzeug beschäftigt. Da es im Roman in der Hauptsache um die Gedanken und Gefühlslage der beiden Protagonisten geht, ist die Bezeichnung „Skandalbestseller aus Dänemark“ reichlich übertrieben und schürt vielleicht überzogene Erwartungen. Denn was die Autorin in diesem Punkt ausführt, mögen sich einige wünschen, sich aber wegen übertriebener Hemmungen verkneifen.
Kritische Aspekte spricht Kirsten Hammann bei der Entlassung noch gehunfähiger Patienten aus dem Krankenhaus an, die nicht wissen, wie sie alleine zu Hause zurechtkommen sollen. Ebenso weist sie auf das veränderte Sexualleben eines Paares nach der Geburt eines Kindes hin und schreibt, wie psychisch belastend es für eine Frau ist, einen toten Föten zur Welt bringen zu müssen und nachher sogar zu beerdigen, was wohl ein Tabuthema sein dürfte. Amüsant wird es aber für den Leser, wenn er vom Erfindungsreichtum Julies liest, der ihren ausgeprägten und unbedingten Wunsch nach einer Schwangerschaft betrifft.
Darüber, ob sich eine Frau tatsächlich einen Mann als Untermieter nimmt, mag man geteilter Meinung sein. Das Verhalten von Julie und Sune entspricht dann aber doch einer realen Vorstellung. Auch, wenn das Ende absolut nicht vorhersehbar ist, entwickelt es sich so, wie es zwangsweise kommen muss. Der in sehr flüssigem Schreibstil verfasste und recht spezielle Roman Paarungsbereit, der nebenbei auch noch medizinisches Wissen vermittelt, wird in erster Linie weibliche Leser ansprechen, die sich auf eine handlungsarme Geschichte mit Tiefsinn einlassen.
Kirsten Hammann, Paarungsbereit, btb Verlag 2014, Taschenbuch, 544 Seiten, ISBN 978-3-442-74537-1, Preis: 9,99 Euro.