Ein bibliophiler Lyrikband mit 19 bislang unveröffentlichten Gedichten zum 85. Geburtstag der Dichterin am 16.4.2020
Man kennt Sarah Kirsch als Dichterin der Pappeln und Gräser, des Sommerwindes und der Rauchschwalben, als Naturdichterin im emphatischen Sinne, die ihre Leser in freien Versen neu sehen und staunen lehrt. Neu sehen lernen und staunen sollte nun auch, wer Sarah Kirsch für eine apolitische Dichterin gehalten hat. Denn das war sie keineswegs. Das zeigt ein Glücksfund von neunzehn bislang völlig unbekannten Gedichten, entstanden noch in der DDR. Sie zeigen die Büchner-Preisträgerin als eine eminent politische Stimme, frei von Reim- und Denkzwängen, frei von politischer Bevormundung.
Der von Moritz Kirsch, dem Sohn der Dichterin, herausgegebene Auswahlband «Freie Verse» enthält neunundneunzig Gedichte, in denen die Idylle fern ist, aber das Zeitgeschichtliche nah und in jeder noch so harmlos scheinenden Gedichtzeile präsent. Die poetische Beschwörung Sarah Kirschs gilt in diesem Band nicht nur der Natur, sondern auch der menschlichen Umwelt, dem gesellschaftlichen System, das uns prägt und – ob wir es wollen oder nicht – bis in den hintersten Weltwinkel verfolgt. Von besonderem Wert sind in diesem Zusammenhang neunzehn erst kürzlich auf dem Dachboden wiederentdeckte Gedichte. Ausschlaggebend, dass Sarah Kirsch sie seinerzeit zurückhielt, waren offensichtlich politische und nicht literarische Gründe. Im Lichte des unveröffentlichten lassen sich auch dem bereits veröffentlichten Werk nun noch einmal ganz neue Facetten abgewinnen. Weit entfernt vom aufrührerischen, agitatorischen Ton eines Wolf Biermann oder vom zupackenden Gestus eines Volker Braun findet die Dichterin eine ganz eigene Form- und Bildsprache in der Auseinandersetzung mit ihrer Gegenwart, mit dem jeweiligen System und den Herrschenden.